Mittwoch, 24. August 2011

Europas Festung in Afrika - Ceuta und Melilla

Auf der afrikanischen Seite des Mittelmeeres und am Rande des Königreichs Marokko befindet sich neben Melilla die letzte Festung Europas in Afrika, die in den letzten Monaten durch jene Menschen aus Schwarz-Afrika Berühmtheit erlangte, die hier Zuflucht suchten, um nach Europa zu kommen, eine Art Rettungsring, um dem wirtschaftlichen Untergang zuhause zu entgehen. Diese Halbinsel und tatsächliche Festung Ceuta misst 18,5 qkm, wurde 319 v. Chr. den Griechen von den

Karthagern abgenommen, anschließend folgten die Römer, die Vandalen, das Byzantinische Reich als Rechtsnachfolger des römischen, 616 die Westgoten und 709 die Araber. Von hieraus zogen sie auf die spanische Halbinsel. 1415 eroberte Portugal die Stadt, 1668 wurde sie an Spanien abgetreten.

Heute leben hier in einer Art architektonischer und landschaftlicher Puppenstube 75.000 Menschen, und es wird nicht ganz klar, wovon sie leben und wer diesen Teil Europas finanziert.

Während ganz eindeutig von marokkanischer Seite aus zwar strenge, aber je nach Verhandlung auch durchlässige Kontrolle stattfinden, denn dafür ist in Marokko die Polizei und der Zoll bekannt, alles ist eine Frage des Preises, wenden sich die spanischen Grenzbeamten demonstrativ ab. Wer also die Marokkaner überwindet, hat es dann auch geschafft. So blüht der Autoimport an den hohen Steuern vorbei und hunderte von marokkanischen Wegelagerern bieten ihre Hilfe gegen Bares an, um den Weg an den teilweise sehr abweisenden und unhöflichen Zöllnern und Grenzpolizisten zu weisen. In Marokko, das stark von ausländischen Investitionen und Besuchern abhängig ist, hat es sich noch nicht herum gesprochen, Ausländer als Partner zu verstehen. Ein Tourist gilt als auszubeutendes Objekt. Im schlechtesten Fall sieht man ihn sowieso nicht wieder. Rücksicht wird nicht genommen.

Da stellt sich dann dem Beobachter die Frage, ob es wirklich sein kann, dass die Flüchtlinge, ohne dass die Beamten vor Ort eingeweiht sind, selbständig in die Burg Europa flüchten?      

Mittwoch, 3. August 2011

Tunesiens Hauptstadt Tunis

Tor nach Afrika ?

Tunis (unter den Römern Thuni, bei den Arabern Tunes), die Hauptstadt Tunesiens, der ehemaligen römischen Provinz Africa, gehört zu den wenigen arabischen Hauptstädten, die eher keine Reise wert sind und es verwundert, warum diese Stadt dennoch touristisch völlig überlaufen ist. Zur Hauptstadt des Landes wurde Tunis 1160, nachdem es bereits 700 n. Chr. durch die Araber erobert wurde. Tunis wurde im 9. Jahrhundert vor Chr. von den Phöniziern gegründet, die sich als Seefahrer u.a. hier niedergelassen hatten. Ganz in der Nähe entstand bekanntlich um 814 v. Chr. Karthago, das Königin Didon aus Tyrus gründete, und das sich heute als Villenvorort von dem immer größer werdenden Tunis vereinnahmen lässt.

Eigentlich hatte die Stadt, in der heute mit über 3 Mio Einwohnern immerhin 30 % aller Tunesier leben, keine wirkliche Hochzeit oder kulturelle und wissenschaftliche Errungenschaften hervorgebracht, die für die Menschheitsgeschichte von Belang gewesen wären. Es sind faktisch keine Sehenswürdigkeiten historischer oder architektonischer Art vorhanden, nimmt man die St. Georg Kathedrale der griechisch orthodoxen Kirche aus dem 19. Jahrhundert oder das Stadttheater im Jugendstil einmal aus, die die einzigen Gebäude an der die Innenstadt durchziehenden Hauptstraße Avenue Habib Bourguiba, eine Art Kopie des Champs Elyseé, sind, die man als herausragend, schön oder interessant bezeichnen könnte und an deren einem Ende das Bab el-Bahar, das Meerestor, an einem anderen Ende die Porte de France einem den Zugang in die endlos wirkenden Souks der Medina (Altstadt) gewährt. Denn in der französischen Gründlichkeit wurde Tunis während der Besatzung nicht nur entsprechend geprägt, es wurden auch gleich die Altstadtmauer und einige Nebenbauten abgerissen. Man ließ nur einige Tore stehen, eben auch diese.

Tatsächlich ist die Medina und sind die Souks unglaublich weit verzweigt und vielleicht auch eine der Erklärungen dafür, warum soviele Touristen die Stadt besuchen. Zwar sind die Basare in Marrakesch größer und schöner, die Sakralbauten in Kairo unvorstellbar großartig und das Leben in Damaskus bei weitem orientalischer, doch für viele Franzosen, Spanier und Italiener liegt der Reiz dieser Stadt wohl an der starken europäischen Prägung mit den anscheinend nicht zu dominanten arabischen Sitten und Gebräuchen und weniger Kunst, Kultur und Historie, die man hier ja auch nicht im Übermaß findet. Dennoch führen alle Wege der verschlungenen Souks zum Zentrum, dem Mittelpunkt der Medina, zur ab 732 erbauten Djamma ez-Zitouna, der Ölbaummoschee, die gegen ein Eintrittsgeld selbstverständlich auch von Ungläubigen und auch Frauen, im Islam bekanntlich eine niedere Kaste, betreten werden dürfen. Die Moschee hat ohnehin drei Eingänge für Gläubige, darunter auch die für Frauen oder einen Eingang für Kinder, also einem Baudenkmal, das heute noch in seiner ursprünglichen Art genutzt wird, nämlich als theologische Hochschule mit einer der größten Bibliotheken islamischen Schrifttums. 

Kurz vor dem Haupteingang zur Moschee findet sich ein Waschhaus. Zu den fünf Säulen des Islam gehört auch, dass sich der Gläubige jeweils vor den täglichen Gebeten einer Waschung zu unterziehen hat, was dann in einem dieser Häuser geschieht.

Nicht unerwähnt bleiben soll das im Westen der Stadt liegende Bardo-Museum, ein Palast in dem Fundstücke aus der Zeit der Punier und der Römer zu finden sind, darunter die wunderbar erhaltenen Mosaike "Die Irrfahrten des Odysseus" und "Vergil zwischen zwei Musen".

Und trotz der heutigen Tristheit gelangte die Stadt zwischen 1229 und 1574 zu Wohlstand, und bekanntlich weckt Wohlstand auch Begehrlichkeiten. So eroberte Karl V. Tunis 1335 für Spanien, 1574 Sinan Pascha für das Osmanische Reich, bevor 1881 ganz Tunesien französisches Protektorat wurde.

Der europäische Einfluss war schon damals sehr gross, und so wurde Tunis auch immer als das europäische Tor zum Orient gewertet. Von alledem ist heute nicht mehr viel übrig. Wie fast alles in Tunesien verfällt auch die Hauptstadt. Wenige Bauten aus der Kolonialzeit erinnern an schönere Tage, insbesondere an schönere Ansichten. Die meisten Neubauten der arabischen Herrschaft seit der Unabhängigkeit 1956 beginnen mit dem Verfall schon kurz nach der Fertigstellung. 

Ohnehin ist Tunis eine unglaublich runtergekommene Stadt, was in der arabischen Welt nur von wenigen anderen Großstädten wie zum Beispiel Kairo überboten wird. Während sich einige Hundert Müllmänner um die Reinigung der Straßen mühen, werfen täglich Millionen von Menschen was immer sie in den Händen halten einfach in die Gegend. Es besteht ein totales Desinteresse an der Umwelt, an Sauberkeit, Schönheit, Ästhetik und damit verbunden auch kein Interesse an einem Sozialgefüge, geschweige denn ein solches Verhalten. Das System im Alltag lautet: Jeder gegen jeden. Da spielt der so genannte arabische Stolz keine Rolle, die Religion nicht und auch nicht eine etwaige kulturelle Hinterlassenschaft, es gilt nur, um jeden Preis an Geld heranzukommen, einen Touristen zu heiraten, ins Ausland mitgenommen zu werden, Prostitution für jeden Preis, nach unten gibt es da kaum Grenzen. Alles, was mit Würde zu tun hat, scheint verpönt.

Der durchschnittliche Einwohner der riesigen Stadt verdient, soweit er überhaupt Arbeit findet, etwa 150 Dinar im Monat und muss dafür sechs Tage und üblicherweise 10 Stunden am Tag arbeiten. Das Problem dabei ist, dass die Lebenshaltungskosten in Tunis in etwa denen in einer mitteleuropäischen Stadt entsprechen. Dementsprechend leben die meisten jungen Menschen noch zuhause, versuchen sich mit einem Zweitjob, mit dem Kennenlernen eines Touristen oder eines reichen Arabers vom Golf. So sehr die Tunesier die reichen Volksbrüder auch verachten, so sehr würden sich viele selbstverständlich für ein besseres Leben an einen solchen Mann verkaufen und selbst als aufgeklärte und moderne Frau zukünftig Schleier tragen. Geld ist alles in Tunis, die Oper ist nichts und fast immer geschlossen, während man täglich, auch an den Feiertagen shoppen kann, die Lieblingsbeschäftigung der jungen Menschen in diesem sehr armen Land. Kleidung, hier insbesondere Schuhe, ist die große Leidenschaft, für die auch schon mal gehungert wird. 

Doch auch wenn jemand die Chance hat, eine Ausbildung zu machen oder einen Job zu bekommen, findet fast niemals wirkliches Engagement statt. Die Restaurants sind, wie in vielen arabischen Ländern, schmutzig bis versifft. Selbst die 5-Sterne-Hotels bieten elende Tische und Speisesäle, schmuddelige Badezimmer und, denn da beginnt der berühmte arabische Männer-Stolz, keinen Service. In Luxus-Hotels findet faktisch kein Service statt. Dennoch gelten die internationalen Preise, keine Leistung für viel Geld in einem primitiven, unterentwickelten Land, das zwischen der Vergangenheit und der verpassten Zukunft vor sich hin vegetiert, dessen Präsident auf Lebenszeit alles beherrschte und sich Residenzen und Moscheen von unglaublichem Aufwand leistet, dessen Oberschicht in der Welt herumreisen kann, dessen Bevölkerung sich zum Teil prostituiert und wo man nur weiterkommt oder befördert wird, wenn man einen anderen denunziert.

In Tunesien kennt man das Anlernen, nicht jedoch die Ausbildung, wie sie z.B. in Deutschland üblich ist. Dementsprechend ist faktisch niemand wirklich ausgebildet, jeder kennt nur die halbe Wahrheit und vermittelt zumeist das Fehlerhafte weiter. Ohnehin sind die in Tunis lebenden Menschen unglaublich schlecht informiert. Kaum einer kennt die eigene Stadt, kaum einer Karthago und dessen große Geschichte. Niemandem sind die Umstände um das Attentat auf Djerba wirklich bekannt, viele wissen sogar gar nichts davon, von den Attentaten in Ägypten oder denen in Spanien ganz zu schweigen.

Doch wie überall in der Welt hat auch Tunis Vororte, in denen eher die Wohlhabenden, die Ausländer oder Diplomaten und die Herrschenden leben. Dazu gehört in Tunis die Vorstadt Karthago und die vom Stadtkern etwa 19 km entfernte Stadt Sidi Bou Said, deren Altstadt seit 1915 unter Denkmalschutz steht. 

In Karthago haben die meisten Botschafter ihre Residenzen, auch die Europäische Kommission ist sehr großzügig und standesgemäß vertreten. Der ehemalige Präsident des Landes, Zine El Abedine Ben Ali, der wie üblich in solchen Ländern mit 99,4 % 1999 in seinem Amt bestätigt wurde, es gab auch keine andere Möglichkeit, hat sich auf dem geschichtsträchtigen Boden von Karthago, denn ihm wird es ja bekannt sein, mit einer unglaublich schönen, aufwendigen und sehr großen Moschee, die naturgemäß seinen Namen trägt, verewigt.

Seinen letzten Palast hatte der Dispot allerdings in Sidi Bou Said, eine für tunesische Verhältnisse vornehme Vorstadt am Golf von Tunis, in der in den Bars auch Alkohol ausgeschenkt werden darf, Diskotheken vorhanden sind und natürlich auch an die Möglichkeit der Bordellbesuche gedacht wurde. Im 16. Jahrhundert allerdings hatten sich hier die spanischen Flüchtlinge aus Andalusien angesiedelt, weswegen wir auch heute noch auf andalusisch geprägte Bauweise stoßen. Ansonsten war hier nur der Aufenthalt des Malers August Macke von Bedeutung, der im Café Nattes 1914 das Bild "Blick auf eine Moschee" malte.

Im krassen Gegensatz dazu befinden sich die normalen Wohnviertel der Stadt oder die Souks der Einheimischen. In den Markstraßen herrscht ein unvorstellbarer Schmutz. Esswaren liegen umher, Fleisch und Früchte, Nahrungsmittel, die bereits zur Nahrung anderer Tiere wird. Am Fischstand legt der Verkäufer seine dreckigen Sandaletten und Füße auf den Tisch, ein anderer Händler rotzt neben den feilgebotenen Waren auf den Boden, manche rülpsen, andere spucken, bohren in der Nase und verschmieren alles auf den Hosen. Der sich aus Urin, altem Fleisch, Müll und Schimmel zusammensetzende bestialische Geruch ist für Fremde fast unerträglich. Selbst Tiere dürften in Mitteleuropa so nicht gehalten werden.

Schaut man den Jungen und Mädchen in die teilweise sehr hübschen Gesichter, einer Mischung aus Arabern, Berbern und Kathagern, stellt sich einem automatisch die Frage: "Mit welchem Recht ich, mit welchem Unrecht die?" Gäbe es wirklich ein Leben nach dem Tod, dann wäre die Wiedergeburt in Tunis Slums sicherlich die Hölle. Einer Frau reißen die Einkaufstüten. Alles fällt auf die dreckige Straße. Die Männer schauen zu, keiner hilft, niemals einer Frau, eher einem Esel, der seine Last nicht mehr schleppen kann.

Hier herrscht das Gesetz "nimm dem Nächsten und liebe Dich selbst". Wie in fast allen arabischen Ländern gibt es außerhalb der Familie kein Sozialverhalten. Die Menschen sind in ihrer evolutionären Entwicklung noch im Mittelalter. Faktisch ist der Sprung in die Neuzeit nicht gelungen. Stammen die Völker auch aus einer großen Kultur und basiert ihr Dasein auch auf einer großen und bewegten Geschichte, so hat doch darüber hinaus keine Entwicklung mehr stattgefunden. Die Zivilisation - eine angemessene für das 21. Jahrhundert - scheint ausgeblieben. Das ist eine sicherlich dramatische Ansicht, leider aber auch eine ehrliche und richtige.

Dennoch haben die Armenviertel, die der Touristen, das Zentrum von Tunis, die vornehmen Vororte und die neuen Satellitenstädte eines gemein. Alle verbindet ein böser, beißender, bestialischer Geruch, der offensichtlich durch die überall in der Stadt, in den wenn überhaupt vorhandenen Abwasserkanälen hochkommenden Kloake, entsteht. Schon am Flughafen beginnt der Gestank, sich in den Nasenflügeln festzusetzen und verlässt einen bis zur Abreise nicht mehr, bei 40 Grad im Schatten, Tag und Nacht, während des Essens, des Spazierengehens, während des Shoppens, einfach nie. Einheimische bezeichnen den Gestank ironisch als das Parfum von Tunis.

Obwohl Internet und Satellitenfernsehen vorhanden sind, obwohl endlos viele Leute mit Handys auf den Straßen herumirren, kaum einer informiert oder bildet sich, kaum einer hat wirklich Interesse an einem solchen Aufwand, wenn sich doch alles sofort ändern kann, sollte man einen Ausländer gewinnen können.

Wer nach Tunesien reisen will, ohne sich ausschließlich in Hammamet (als Badeort von den Römern genutzte Siedlung, deren Name aus dem Wort Hammam hergeleitet wird) der Sonne und dem Sex hingeben zu wollen, der sollte für Tunis, Karhago und Sidi Bou Said höchstens drei Tage einplanen. Mehr Zeit und Aufenthalt ermüdet nicht nur, sondern wird schnell zur Belastung.

Impressionen aus Marrakesch

Es ist halb fünf. Noch ist die Sonne nicht aufgegangen. Der Muezzin ruft zum Gebet. Ein fremdartiger Sprechgesang, an den ich mich in den letzten 13 Monaten gewöhnt habe, weckt mich behutsam. Das erste der fünf täglichen Gebete, die ein gläubiger Moslem zu seinem Herrn betet. Der Muezzin erinnert und ruft auf, von dem Minarett ganz in der Nähe. Leiser hört man die vielen hundert anderen Gebetsrufer von entfernteren Minaretten die Formeln des Koran rufen. Es klingt wie das Rauschen des Meeres, langsam, schäumend, im Sand versickernd, lauter und leiser werdend im Rhythmus, an die Sprechgesänge von Mönchen in Klöstern erinnernd, wie die Gesänge der Mönche in Neuburg, wo ich vor so vielen Jahren für einige Wochen im Benediktinerkloster gelebt hatte und eben solche und ähnliche Gesänge wie das Gurren der Tauben verstand, das mich heute weckt, aber gleichzeitig auch wieder in eine Art Dämmerzustand fallen lässt, in eine Meditation, so wie es von St. Benedikt seinerzeit gewollt gewesen ist. 

Wir haben die letzten Tage des Jahres 1427 nach Mohammed. Die nur wenig roten Häuser in der roten Stadt wirken um diese Zeit erdig braun. Sterne durchbrechen das tiefe Schwarz des Himmels über Afrika. Ich bin müde, drehe mich zum Fenster, es ist noch Nacht für mich. Ich möchte schlafen, weiterschlafen, und der Muezzin hilft mit seinen Worten, mit seiner Melodie, die mich wieder in meine Träume begleiten.

Ausnahmezustand in Marrakesch. Das neue Jahr beginnt, nicht nur für Europa und den Rest der Welt, auch hier in der islamischen Welt, im "Mittelalter“, feiert man den Beginn des neues Jahres, überall in den Seitenstraßen der Neustadt, überall in der Medina, tausende Schafe. Es wird gehandelt und gefeilscht, Größe, Aussehen, Gewicht, ein Schaf für das Fest, ein lebendes Tier, das zuhause geschlachtet wird, zum Neujahrstag. Autos beladen mit Tieren, Kutschen, Fahrräder, Busse, endlose Menschenmassen, alles ist versperrt, überall wird gehupt, keiner kommt weiter, mittelalterliche Gerüche, mittelalterliche Märkte, eine andere Welt, ein Traum offenbar, ich träume oder sind die Autos der Traum, der Wagen, in dem ich mich durch das Gewühl kämpfe, die Motorräder und anderen Fahrzeuge? Bin ich aus eben einem Traum, den wir in Europa träumen und im Schlaf über 630 Jahre zurück gegangen, zuerst mit meinen Gedanken, nun aber auch in Wirklichkeit, zurück in die dritte Königstadt Marokkos, die nach Fez, nach Meknes von jenen Arabern gegründet wurde, die aus Andalusien vertrieben wurden?

Mein Freund Talal, der für die Polizei des Innenministeriums arbeitet, ist sichtlich nervös. Es herrscht Anspannung in der Stadt. Der König kommt aus Rabat, begleitet von einem Scheich aus den Emiraten, Neujahr steht bevor und Hussein ist zum Tode verurteilt worden. "Wenn diese Tage nur ruhig vorbeigehen“, sagt er mehr zu sich als zu mir, telefoniert laufend mit seinem Handy, wird von seinen Vorgesetzten angerufen, gibt Auskunft, alles ist normal, es gibt keine Aufregung, Menschen protestieren nicht wie in anderen Ländern der arabischen Welt, obwohl man Hussein auch hier als Held betrachtet und die Mehrheit seinen Tod als falsch empfindet. Wird es Demonstrationen geben? Werden die Menschen auf der Straße das Neujahrsfest zum Anlass nehmen, zu protestieren gegen die Hinrichtung, gegen die Amerikaner, gegen den Westen und eigentlich und tatsächlich gegen die Umstände, in denen sie leben, die bittere Armut, die Arbeits- und Hoffnungslosigkeit ihrer Jugend, deren Traum es ist, in eben diesen Westen zu ziehen, einmal nur Wohlstand zu erfahren, einmal eine Chance zu bekommen, die sie nie wieder loslassen würden, egal was es kostet?

"Wir sind ein Land der Dritten Welt, aber bei der Sicherheit sind wir in der Ersten“, klärt mich Talal auf, beruhigt er mich, der ich nicht beunruhigt bin, in einem Land, in dem es faktisch keine Morde gibt, keine Entführungen, keine Überfälle oder Einbrüche, so wie ich es aus Deutschland kenne. Er scheint sich langsam zu beruhigen, von mir angesteckt, obwohl er wissen müsste, dass seine Landsleute nicht wirklich aggressiv sind, dass seine Glaubensbrüder nicht kämpfen mögen, nicht gerne streiten, nicht gewalttätig sind, eher sogar ein bisschen feige? Es gilt, sich auf dieses große Fest vorzubereiten, rechtzeitig zu Hause zu sein, die rituelle Schlachtung vorzunehmen, damit die Frauen das große Mahl bereiten können, an dem die ganze Familie zusammensitzt, nicht über Politik spricht, sondern über den Alltag, das Fernsehprogramm, da-rüber, wer gestorben ist und wer ein Kind bekommen hat, manchmal auch über Wünsche und Träume für das neue Jahr, nicht anders eben als im Rest der Welt.

Das Klopfen auf die Motorhaube reißt mich zurück in die Wirklichkeit, in das Jahr 1427. Die Sonne scheint, wie eigentlich fast immer. Der Himmel hat ein underschönes Blau. Behutsam wiegt der Wind die Palmenfächer. Um mich herum zufriedene Gesichter. Kinder spielen auf den Straßen. Männer haben ihre Probleme mit dem Verladen und dem Transport der erworbenen Tiere. Es ist warm. Das schier niemals endende Leben um mich herum befördert mich und meinen Wagen hinaus aus dem Getümmel, auf die Landstraße hinaus, dorthin, wo man immer die Berge sieht, egal wie schnell oder langsam man fährt, den Atlas, der in so vielen Farben lockt, dessen Gipfel mit Schnee bedeckt sind, dessen Weiß sich wunderbar von dem gleichmäßigen Blau des Himmels absetzt. Ausnahmezustand in Marrakesch, weil die Menschen einfach feiern wollen, trotz der Armut, trotz des königlichen Besuches, trotz der Hinrichtung, einfach feiern und an nichts anderes denken wollen als an das familiäre Zusammensein beim Essen und Trinken, und selbst Talal beginnt, sich zu entspannen und lädt mich zu sich und zu seiner Familie nach Hause zum Feiern ein.

Leptis Magna in Libyen

Das einzig historisch Wertvolle in der Sandkiste der Gaddhafis


Es ist nicht einfach, über Libyens Geschichte zu schreiben, denn tatsächlich endet eine wirklich interessante Historie des Landes noch weit vor der arabischen Besiedelung, nämlich als die Römer ihre Provinz Africa aufgegeben haben. Interessanterweise sind eben auch nur diese römischen Siedlungen, die nun über 2.000 Jahre nicht nur der Sahara, sondern auch der arabischen Bevölkerung trotzen, noch so gut intakt, dass ein Besuch ein Muss ist, neben einigen Nächten in der Sahara das einzige touristische Muss in Libyen. In Tripolis selbst findet man nur noch wenige wirklich historische Bauten, u.a. den Triumphbogen aus dem 2. Jahrhundert nach Christi und 4 Jahrhunderte vor Mohamed, der zum Gedenken an Kaiser Marc Aurel erbaut wurde. Die osmanische Zeit lässt sich durch einen Uhrturm erinnern, dem als Vorlage alte italienische Kirchtürme dienten, und das 16. Jahrhundert ist durch eine spanische Festung vertreten.

Etwa 120 km von der Hauptstadt entfernt liegt der Ort Leptis Magna, eine kleine Stadt, die zu den größten erhaltenen antiken Stätten der ganzen Welt zählt und sehr beeindruckt, den Besucher tatsächlich in das damalige Leben mitnimmt. So existiert neben unzähligen Bauten auch der severische Triumphbogen, die Basilika des hier geborenen römischen Kaisers Septimius Severus, ein Amphitheater und das alte Forum. Diese ehedem bedeutende römische Handelsmetropole für afrikanische Tiere gehört zum Weltkulturerbe, weitere Orte auch.

Wenngleich die Italiener auch 1911 mit den Ausgrabungen der antiken Stätten begannen, so sind doch trotz des sehr beeindruckenden und großen Umfanges des Sichtbaren bisher nur ca. 5 Prozent der Stadtfläche wieder ans Tageslicht gebracht worden. Zudem stellen sich Experten auch die Frage, welchen Sinn es haben kann, weiter tätig zu werden, denn die feuchten und salzhaltigen Winde vom Mittelmeer und die im Wechsel dazu heißen und sandigen Winde aus der Sahara zersetzen nach und nach die ausgegrabenen oder rekonstruierten Bauten.

800 vor Christi war Leptis Magna einmal die erste Handelskolonie der Phönizier in Tripolitanien (daher auch Tripolis, der Name der Hauptstadt Libyens). Zuerst herrschte Karthago über die Siedlung und nach der Eroberung durch Numidien dann die Römer um 46 vor Christi. Mit den Römern kam der Wohlstand, denn aus der Siedlung wurde zur Stadt und das bedeutendste Handelszentrum für Tiere aus Afrika. Es waren besonders Elefanten und Löwen, die im römischen Reich und den Arenen im Kampf zur Kurzweil der Römer beizutragen hatten. Die falsche Positionierung der Stadt in der Auseinandersetzung zwischen Ceasar und Pompeius führte nach dem Erfolg Caesars zu hohen Abgaben der bis dahin mit 100.000 Menschen besiedelten Metropole im Norden Afrikas. Erst Kaiser Septimius Severus befreite die Stadt und ihre Bürger von dieser Last, stammte er doch daher. 

Und dann folgte jene Geschichte, die im Norden Afrikas allen, fast allen Städten und Siedlungen wieder fuhr. Erst kam die Nomadeneinfälle, dann die Vandalen um 455 nach Christi, 647 gaben ihr die Araber den Rest und die Stadt verlor vollends ihre Bedeutung. Also dann noch Tripolis zum Zentrum von Tripolitanien ausgebaut wurde, verließen die Einwohner Leptis Magna nach und nach, Winde und der Wüstensand taten den Rest, bis wieder die Römer in Form der italienischen Kolonialherrn bald 2.000 Jahre später mit den Ausgrabungen ihrer Geschichte begannen.

Sehr interessant sind noch die bis auf ca. 12.000 Jahre vor Christi datierten Felszeichnungen im Tadrart-Acacus-Gebirge im südwestlichen Grenzgebiet zu Algerien, oder aber auch die unterirdische Stadt Ghadames mit ihren ca. 7.000 Einwohnern, auch Weltkulturerbe.