Mittwoch, 3. August 2011

Tunesiens Hauptstadt Tunis

Tor nach Afrika ?

Tunis (unter den Römern Thuni, bei den Arabern Tunes), die Hauptstadt Tunesiens, der ehemaligen römischen Provinz Africa, gehört zu den wenigen arabischen Hauptstädten, die eher keine Reise wert sind und es verwundert, warum diese Stadt dennoch touristisch völlig überlaufen ist. Zur Hauptstadt des Landes wurde Tunis 1160, nachdem es bereits 700 n. Chr. durch die Araber erobert wurde. Tunis wurde im 9. Jahrhundert vor Chr. von den Phöniziern gegründet, die sich als Seefahrer u.a. hier niedergelassen hatten. Ganz in der Nähe entstand bekanntlich um 814 v. Chr. Karthago, das Königin Didon aus Tyrus gründete, und das sich heute als Villenvorort von dem immer größer werdenden Tunis vereinnahmen lässt.

Eigentlich hatte die Stadt, in der heute mit über 3 Mio Einwohnern immerhin 30 % aller Tunesier leben, keine wirkliche Hochzeit oder kulturelle und wissenschaftliche Errungenschaften hervorgebracht, die für die Menschheitsgeschichte von Belang gewesen wären. Es sind faktisch keine Sehenswürdigkeiten historischer oder architektonischer Art vorhanden, nimmt man die St. Georg Kathedrale der griechisch orthodoxen Kirche aus dem 19. Jahrhundert oder das Stadttheater im Jugendstil einmal aus, die die einzigen Gebäude an der die Innenstadt durchziehenden Hauptstraße Avenue Habib Bourguiba, eine Art Kopie des Champs Elyseé, sind, die man als herausragend, schön oder interessant bezeichnen könnte und an deren einem Ende das Bab el-Bahar, das Meerestor, an einem anderen Ende die Porte de France einem den Zugang in die endlos wirkenden Souks der Medina (Altstadt) gewährt. Denn in der französischen Gründlichkeit wurde Tunis während der Besatzung nicht nur entsprechend geprägt, es wurden auch gleich die Altstadtmauer und einige Nebenbauten abgerissen. Man ließ nur einige Tore stehen, eben auch diese.

Tatsächlich ist die Medina und sind die Souks unglaublich weit verzweigt und vielleicht auch eine der Erklärungen dafür, warum soviele Touristen die Stadt besuchen. Zwar sind die Basare in Marrakesch größer und schöner, die Sakralbauten in Kairo unvorstellbar großartig und das Leben in Damaskus bei weitem orientalischer, doch für viele Franzosen, Spanier und Italiener liegt der Reiz dieser Stadt wohl an der starken europäischen Prägung mit den anscheinend nicht zu dominanten arabischen Sitten und Gebräuchen und weniger Kunst, Kultur und Historie, die man hier ja auch nicht im Übermaß findet. Dennoch führen alle Wege der verschlungenen Souks zum Zentrum, dem Mittelpunkt der Medina, zur ab 732 erbauten Djamma ez-Zitouna, der Ölbaummoschee, die gegen ein Eintrittsgeld selbstverständlich auch von Ungläubigen und auch Frauen, im Islam bekanntlich eine niedere Kaste, betreten werden dürfen. Die Moschee hat ohnehin drei Eingänge für Gläubige, darunter auch die für Frauen oder einen Eingang für Kinder, also einem Baudenkmal, das heute noch in seiner ursprünglichen Art genutzt wird, nämlich als theologische Hochschule mit einer der größten Bibliotheken islamischen Schrifttums. 

Kurz vor dem Haupteingang zur Moschee findet sich ein Waschhaus. Zu den fünf Säulen des Islam gehört auch, dass sich der Gläubige jeweils vor den täglichen Gebeten einer Waschung zu unterziehen hat, was dann in einem dieser Häuser geschieht.

Nicht unerwähnt bleiben soll das im Westen der Stadt liegende Bardo-Museum, ein Palast in dem Fundstücke aus der Zeit der Punier und der Römer zu finden sind, darunter die wunderbar erhaltenen Mosaike "Die Irrfahrten des Odysseus" und "Vergil zwischen zwei Musen".

Und trotz der heutigen Tristheit gelangte die Stadt zwischen 1229 und 1574 zu Wohlstand, und bekanntlich weckt Wohlstand auch Begehrlichkeiten. So eroberte Karl V. Tunis 1335 für Spanien, 1574 Sinan Pascha für das Osmanische Reich, bevor 1881 ganz Tunesien französisches Protektorat wurde.

Der europäische Einfluss war schon damals sehr gross, und so wurde Tunis auch immer als das europäische Tor zum Orient gewertet. Von alledem ist heute nicht mehr viel übrig. Wie fast alles in Tunesien verfällt auch die Hauptstadt. Wenige Bauten aus der Kolonialzeit erinnern an schönere Tage, insbesondere an schönere Ansichten. Die meisten Neubauten der arabischen Herrschaft seit der Unabhängigkeit 1956 beginnen mit dem Verfall schon kurz nach der Fertigstellung. 

Ohnehin ist Tunis eine unglaublich runtergekommene Stadt, was in der arabischen Welt nur von wenigen anderen Großstädten wie zum Beispiel Kairo überboten wird. Während sich einige Hundert Müllmänner um die Reinigung der Straßen mühen, werfen täglich Millionen von Menschen was immer sie in den Händen halten einfach in die Gegend. Es besteht ein totales Desinteresse an der Umwelt, an Sauberkeit, Schönheit, Ästhetik und damit verbunden auch kein Interesse an einem Sozialgefüge, geschweige denn ein solches Verhalten. Das System im Alltag lautet: Jeder gegen jeden. Da spielt der so genannte arabische Stolz keine Rolle, die Religion nicht und auch nicht eine etwaige kulturelle Hinterlassenschaft, es gilt nur, um jeden Preis an Geld heranzukommen, einen Touristen zu heiraten, ins Ausland mitgenommen zu werden, Prostitution für jeden Preis, nach unten gibt es da kaum Grenzen. Alles, was mit Würde zu tun hat, scheint verpönt.

Der durchschnittliche Einwohner der riesigen Stadt verdient, soweit er überhaupt Arbeit findet, etwa 150 Dinar im Monat und muss dafür sechs Tage und üblicherweise 10 Stunden am Tag arbeiten. Das Problem dabei ist, dass die Lebenshaltungskosten in Tunis in etwa denen in einer mitteleuropäischen Stadt entsprechen. Dementsprechend leben die meisten jungen Menschen noch zuhause, versuchen sich mit einem Zweitjob, mit dem Kennenlernen eines Touristen oder eines reichen Arabers vom Golf. So sehr die Tunesier die reichen Volksbrüder auch verachten, so sehr würden sich viele selbstverständlich für ein besseres Leben an einen solchen Mann verkaufen und selbst als aufgeklärte und moderne Frau zukünftig Schleier tragen. Geld ist alles in Tunis, die Oper ist nichts und fast immer geschlossen, während man täglich, auch an den Feiertagen shoppen kann, die Lieblingsbeschäftigung der jungen Menschen in diesem sehr armen Land. Kleidung, hier insbesondere Schuhe, ist die große Leidenschaft, für die auch schon mal gehungert wird. 

Doch auch wenn jemand die Chance hat, eine Ausbildung zu machen oder einen Job zu bekommen, findet fast niemals wirkliches Engagement statt. Die Restaurants sind, wie in vielen arabischen Ländern, schmutzig bis versifft. Selbst die 5-Sterne-Hotels bieten elende Tische und Speisesäle, schmuddelige Badezimmer und, denn da beginnt der berühmte arabische Männer-Stolz, keinen Service. In Luxus-Hotels findet faktisch kein Service statt. Dennoch gelten die internationalen Preise, keine Leistung für viel Geld in einem primitiven, unterentwickelten Land, das zwischen der Vergangenheit und der verpassten Zukunft vor sich hin vegetiert, dessen Präsident auf Lebenszeit alles beherrschte und sich Residenzen und Moscheen von unglaublichem Aufwand leistet, dessen Oberschicht in der Welt herumreisen kann, dessen Bevölkerung sich zum Teil prostituiert und wo man nur weiterkommt oder befördert wird, wenn man einen anderen denunziert.

In Tunesien kennt man das Anlernen, nicht jedoch die Ausbildung, wie sie z.B. in Deutschland üblich ist. Dementsprechend ist faktisch niemand wirklich ausgebildet, jeder kennt nur die halbe Wahrheit und vermittelt zumeist das Fehlerhafte weiter. Ohnehin sind die in Tunis lebenden Menschen unglaublich schlecht informiert. Kaum einer kennt die eigene Stadt, kaum einer Karthago und dessen große Geschichte. Niemandem sind die Umstände um das Attentat auf Djerba wirklich bekannt, viele wissen sogar gar nichts davon, von den Attentaten in Ägypten oder denen in Spanien ganz zu schweigen.

Doch wie überall in der Welt hat auch Tunis Vororte, in denen eher die Wohlhabenden, die Ausländer oder Diplomaten und die Herrschenden leben. Dazu gehört in Tunis die Vorstadt Karthago und die vom Stadtkern etwa 19 km entfernte Stadt Sidi Bou Said, deren Altstadt seit 1915 unter Denkmalschutz steht. 

In Karthago haben die meisten Botschafter ihre Residenzen, auch die Europäische Kommission ist sehr großzügig und standesgemäß vertreten. Der ehemalige Präsident des Landes, Zine El Abedine Ben Ali, der wie üblich in solchen Ländern mit 99,4 % 1999 in seinem Amt bestätigt wurde, es gab auch keine andere Möglichkeit, hat sich auf dem geschichtsträchtigen Boden von Karthago, denn ihm wird es ja bekannt sein, mit einer unglaublich schönen, aufwendigen und sehr großen Moschee, die naturgemäß seinen Namen trägt, verewigt.

Seinen letzten Palast hatte der Dispot allerdings in Sidi Bou Said, eine für tunesische Verhältnisse vornehme Vorstadt am Golf von Tunis, in der in den Bars auch Alkohol ausgeschenkt werden darf, Diskotheken vorhanden sind und natürlich auch an die Möglichkeit der Bordellbesuche gedacht wurde. Im 16. Jahrhundert allerdings hatten sich hier die spanischen Flüchtlinge aus Andalusien angesiedelt, weswegen wir auch heute noch auf andalusisch geprägte Bauweise stoßen. Ansonsten war hier nur der Aufenthalt des Malers August Macke von Bedeutung, der im Café Nattes 1914 das Bild "Blick auf eine Moschee" malte.

Im krassen Gegensatz dazu befinden sich die normalen Wohnviertel der Stadt oder die Souks der Einheimischen. In den Markstraßen herrscht ein unvorstellbarer Schmutz. Esswaren liegen umher, Fleisch und Früchte, Nahrungsmittel, die bereits zur Nahrung anderer Tiere wird. Am Fischstand legt der Verkäufer seine dreckigen Sandaletten und Füße auf den Tisch, ein anderer Händler rotzt neben den feilgebotenen Waren auf den Boden, manche rülpsen, andere spucken, bohren in der Nase und verschmieren alles auf den Hosen. Der sich aus Urin, altem Fleisch, Müll und Schimmel zusammensetzende bestialische Geruch ist für Fremde fast unerträglich. Selbst Tiere dürften in Mitteleuropa so nicht gehalten werden.

Schaut man den Jungen und Mädchen in die teilweise sehr hübschen Gesichter, einer Mischung aus Arabern, Berbern und Kathagern, stellt sich einem automatisch die Frage: "Mit welchem Recht ich, mit welchem Unrecht die?" Gäbe es wirklich ein Leben nach dem Tod, dann wäre die Wiedergeburt in Tunis Slums sicherlich die Hölle. Einer Frau reißen die Einkaufstüten. Alles fällt auf die dreckige Straße. Die Männer schauen zu, keiner hilft, niemals einer Frau, eher einem Esel, der seine Last nicht mehr schleppen kann.

Hier herrscht das Gesetz "nimm dem Nächsten und liebe Dich selbst". Wie in fast allen arabischen Ländern gibt es außerhalb der Familie kein Sozialverhalten. Die Menschen sind in ihrer evolutionären Entwicklung noch im Mittelalter. Faktisch ist der Sprung in die Neuzeit nicht gelungen. Stammen die Völker auch aus einer großen Kultur und basiert ihr Dasein auch auf einer großen und bewegten Geschichte, so hat doch darüber hinaus keine Entwicklung mehr stattgefunden. Die Zivilisation - eine angemessene für das 21. Jahrhundert - scheint ausgeblieben. Das ist eine sicherlich dramatische Ansicht, leider aber auch eine ehrliche und richtige.

Dennoch haben die Armenviertel, die der Touristen, das Zentrum von Tunis, die vornehmen Vororte und die neuen Satellitenstädte eines gemein. Alle verbindet ein böser, beißender, bestialischer Geruch, der offensichtlich durch die überall in der Stadt, in den wenn überhaupt vorhandenen Abwasserkanälen hochkommenden Kloake, entsteht. Schon am Flughafen beginnt der Gestank, sich in den Nasenflügeln festzusetzen und verlässt einen bis zur Abreise nicht mehr, bei 40 Grad im Schatten, Tag und Nacht, während des Essens, des Spazierengehens, während des Shoppens, einfach nie. Einheimische bezeichnen den Gestank ironisch als das Parfum von Tunis.

Obwohl Internet und Satellitenfernsehen vorhanden sind, obwohl endlos viele Leute mit Handys auf den Straßen herumirren, kaum einer informiert oder bildet sich, kaum einer hat wirklich Interesse an einem solchen Aufwand, wenn sich doch alles sofort ändern kann, sollte man einen Ausländer gewinnen können.

Wer nach Tunesien reisen will, ohne sich ausschließlich in Hammamet (als Badeort von den Römern genutzte Siedlung, deren Name aus dem Wort Hammam hergeleitet wird) der Sonne und dem Sex hingeben zu wollen, der sollte für Tunis, Karhago und Sidi Bou Said höchstens drei Tage einplanen. Mehr Zeit und Aufenthalt ermüdet nicht nur, sondern wird schnell zur Belastung.

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