Montag, 11. Juli 2011

Bürgerkrieg in Libyen

Schockierende Bilder aus Libyen. Wenige Tage bevor die Unruhen begannen, besuchte ich in Misurata noch Freunde, nahm in Tripolis an einem Kongress teil. Ebenso schockierend wie die erschütternden Nachrichten aus dem Norden Afrikas sind jedoch die europäischen Reaktionen. Nicht nur, dass man seit Jahren über die Unzufriedenheit, über die permanente Unterdrückung, sogar von US-amerikanischen Geheimdiensten oder politischen Stiftungen in Kanada Vorhersagen über politische Unruhen nachlesen konnte, es scheinen sich in den Außenministerien die dortigen Beamten nicht wirklich mit der Region zu beschäftigen, sondern haben vor, geplante Reisen zu unternehmen und sich von Leuten beraten zu lassen, die wenig mit der Wirklichkeit in den jeweiligen Ländern zu tun haben oder akademische Meinungen fern jeglicher Realität auf unseren Werten basierend verbreiten.

Libyen ist keine wirkliche Nation. Nicht nur, dass es sich geographisch um ein während der Kolonialzeit zusammengesetztes Konstrukt handelt, sondern auch die Bevölkerung ist genetisch, politisch, historisch und kulturell sehr uneinheitlich. Noch heute herrscht dort ein Stammessystem, wie es mehrheitlich für die arabischen Staaten üblich ist und wir es aus allen Ländern des Mittleren Ostens kennen, nicht anders sind Länder wie Saudi Arabien entstanden, nicht anders hat Mohammed seine Religion und seine Macht schon vor 1.600 Jahren - nämlich durch die Heirat in alle Stämme - gesichert, vergrößert und ausgebaut.

Ähnlich wie in Tunesien, wie in Marokko oder Ägypten sind die dortigen Menschen mehrheitlich nicht gegen das System, kennen die Begrifflichkeit der Demokratie überhaupt nicht, wie auch, herrscht mehrheitlich in Marokko oder Ägypten Analphabetismus, ist das Bildungssystem in Libyen eher als Absurdum zu bezeichnen, das Niveau fast unglaublich niedrig und selbst die eigene Geschichte ist jedem ein Fremdwort, wie der Besitz, geschweige denn das Lesen von Büchern faktisch kaum nachweisbar ist.

Bei den Aufständen, denn Revolutionen sind es nicht, geht es vorrangig um wirtschaftliche Probleme, das ist auch das Naheliegende und man kann in der Bibel nachlesen, was bei Menschen natürlich zuerst kommt. Es ist das Brot, erst dann der Herr. In den arabisch-islamischen Ländern kann man diese Weisheit sogar auf die Religiosität oder die Einhaltung religiöser Vorschriften ausdehnen, Gebote findet man eher wenig, mehr Verbote, mehr Vorschriften, der Koran eher eine Art Regelwerk, so wie wir uns das Bürgerliche Gesetzesbuch erarbeitet haben, so ist der Koran mit der Sharia das dortige Gesetz, allerdings mit einem ganzheitlichen, absolutistischen Anspruch, mit dem sich die Gelehrten, das waren auch die wenigen, die überhaupt lesen und schreiben konnten, mit denen sich die Herrschenden den Traum Mohammeds zu verwirklichen suchten, nämlich ein einheitliches arabisches Reich zu schaffen, über alle Widrigkeiten der politischen, gesellschaftlichen, speziell aber über alle Problematiken die Stämme betreffend hinweg, die mehr trennt als verbindet, immer schon.

Natürlich respektieren Araber, in diesem Beispiel speziell die Libyer einen Herrscher, einen für alle Verantwortlichen, einen Führer, einen Stammesältesten, einen, der nicht nur Verantwortung trägt, hier im Namen ihres gemeinsamen Gottes, sondern insbesondere auch die „Großfamilie“, somit den Stamm oder die Gemeinschaft von Stämmen versorgt. Muammar al-Gaddafi hat das getan. Ähnlich wie der Religionsstifter, ähnlich wie es die Herrscher Ibn Saud in Saudi Arabien taten, ähnlich wie die Stammesfürsten in den Emiraten, hat Gaddafi die verschiedenen Landesteile und unterschiedlichen großen und mächtigen Stämme mit dem versorgt, was ein Leben ausmacht. In diesen Gesellschaften, dazu zählen die arabischen, zählt weniger der Aufbau eines Sozialwesens, mehr der eigene Besitz und dieser insbesondere dann, wenn er mehr oder minder transportabel ist, verständlich bei einem Nomaden-Volk und althergebracht. So waren sicherlich die Krankenhäuser, die in der Ära Gaddafi gebaut wurden, eine Form der Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse, wichtiger aber noch die ganz persönliche Versorgung einzelner Stämme, Gruppen und Mitglieder. Hier dürfte eine der schwerwiegenden Fehler des Diktators gelegen haben. Er bevorzugte, vernachlässigte und bestrafte in Sippenhaft. 

Heute hören wir, als wäre es eine unbedingte Neuigkeit, dass die Befreier aus dem Osten kommen, aus der sagenumwobenen Stadt Bengasi, und glauben, dass die dortigen Unruhen aus dem Nichts gekommen sind und von den tunesischen Unruhen inspiriert wurden. Dem ist nicht wirklich so. Bengasi war nie eine wirklich große Region, sondern mehr oder minder umfasste dieser Teil Libyens nur den Großraum der Stadt selbst, deren ca. 700.000 bis 800.000 Einwohner jedoch unter den Herrschenden immer als besonders „aufrührerisch“ galten, von denen aber die gemeine Bevölkerung immer in Hochachtung vor deren Mut und Durchhaltevermögen spricht. Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten wird diese Gegend von der Familie Gaddafi wirtschaftlich mehr oder weniger benachteiligt, Gaddafi selbst konnte niemals ohne Personenschutz oder nur in gepanzerten Fahrzeugen die Stadt besuchen, was er seit vielen Jahren ohnehin nicht mehr tat.

Der Stamm der Herrscherfamilie, eher nicht bedeutend und groß, ebenso die befreundeten oder blutsverwandten Sippen wurden dagegen sehr stark wirtschaftlich bevorzugt, was in arabischen Ländern nur wenig mit Investitionen in Aufklärung, Bildung oder Wirtschaft und Entwicklung zu tun hat. Gemeint ist eher, dass diesen Kreisen die Möglichkeit der Geld-Mitnahme gewährt wurde, des luxuriösen Lebens auch außerhalb Libyens oder die Möglichkeit, „staatlich“ verwaltete Gelder und Investitionsmaßnahmen zu überwachen und damit die unvorstellbar hohen Kommissionen und Bestechungen, die die ausländischen Firmen bezahlen und die natürlich in die Preise eingerechnet sind, abzuschöpfen – ein doppelter Diebstahl am Volk. Den Stämmen in und um Bengasi wurde diese Vorteilsnahme verwehrt, man verzichtete sogar auf die Erneuerung der städtischen Gebäude und kümmerte sich wenig um Schulen, Universitäten oder Krankenhäuser. 

In den Jahrzehnten seiner Macht wurden hunderttausende Menschen – bekanntlich auch Ausländer, die dann von der EU freigekauft werden mussten – entführt, verschleppt, vergewaltigt, bestialisch gefoltert, ermordet. Das alles ist im Westen bekannt. Und dennoch sanktionierte man Gaddafi erst nach dem Terroranschlag in Lockerbie. Natürlich ist den Strategen im Westen die arabische Seele bekannt und natürlich auch die dortige Mentalität. Muammar al-Gaddafi war immer ein Mitspieler. Er war berechenbar, und mit ihm war klar, dass die vielen einzelnen Stämme auch als eine libysche Einheit verbunden bleiben würden, mit aller Gewalt, nicht auseinanderbrechen, wie es nun die Unruhen befürchten lassen. Demokratie ist kein arabischer Begriff, und die Zeit der Aufklärung hat sich im arabisch-islamischen Raum eher zurückgehalten und dürfte noch lange auf sich warten lassen. So schändlich das heutige Töten ist, so unglaubwürdig werden die Rufe, um so peinlicher werden die Ausfälle eines deutschen Bundespräsidenten Wulff, der nicht nur innenpolitisch meinte, einen Bundesbänker abberufen zu lassen, mehr noch keinen Unterschied bei den Wurzeln der Deutschen zwischen christlich-jüdisch und muslimischen zu formulieren weiß und nun noch in absolutistischen Staaten reist, in denen jegliche Form von Menschenrechten fehlen, kein menschlicher Anstand herrscht, geht es um die Unterdrückung der Bevölkerung oder Bevölkerungsteile. Da sagt einer zu Gesprächspartnern, deren Verhalten denen von Gaddafi gleicht, dass es sich eben bei diesem um einen Gestörten handele. Absurd, dann besonders, wenn man bedenkt, wie gern sich europäische Staatschefs und auch deutsche Kanzler mit eben diesem Diktator sehen lassen haben.

Nach Gaddafi wird Libyen auseinanderbrechen. Im Süden herrschen heute schon von Gaddafi ins Land geholte schwarze Stämme mit militärischen Möglichkeiten. Daher hören wir so wenig aus dem Süden, wo man faktisch mit seinem Verschwinden rechnen müsste, würde man dort vorstellig. Der Osten würde sich zu einer islamischen Republik ausrufen, der Westen des Landes, wenig mehr weltoffen, würde sich einen Führer geben, der die Dinge nicht anders betreiben würde, als sie bisher betrieben werden. Und es ist ein Trauerspiel, mit anzusehen, dass das angeblich den europäischen Mächten nicht bekannt sein soll, die wirklich noch hoffen, Tunesien, Ägypten, Algerien, Libyen oder gar der Jemen würden nun den westlichen Demokratien nachstreben. So wird es sehr sicher nicht kommen.

Dagegen wird das der Anfang vom Ende der westlichen Weltvorstellungen sein, was wir hier erleben. Mehr und mehr Muslime und arabischstämmige Menschen überschwemmen Europa. Der türkische Ministerpräsident ruft in Deutschland ein weiteres Mal seine Landsleute auf, sich in allen Bereichen der Gesellschaft zu etablieren, aber immer darauf zu achten, dass es sich bei ihnen um Türken handele, die dem „Türkentum“ verpflichtet sein. In fast allen islamischen Ländern ist das Christentum ausgerottet, die Christen sind vertrieben, es dürfen keine Kirchen gebaut werden, selbst nicht in Indonesien, findet eine Verdrängung durch Masse und Gewalt statt, die schon im Koran in der einen oder anderen Form vorgegeben ist, die von den ungebildeten und armen Massen natürlich unterstützt wird, während wir – insbesondere in Deutschland – meinen, durch bloßes Teilen von Reichtum und Umverteilung würden alle Menschen auf die selbe Position gehoben. Doch das Gegenteil wird erreicht werden, eine so kleine Bevölkerung wie die in dem gesamten Westeuropa ist und wird nicht in der Lage sein, seine südlichen Mitgliedspartner zu unterstützen, die östlichen und neu hinzugekommenen wirtschaftlich anzugleichen und daneben noch massenhaft wirtschaftliche Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland und Frankreich sind das Tor zu eben jener Zukunft, während parallel von gut ausgebildeten und arbeitenden Ausländern ein viel zu hohes Mindestgehalt für ein Bleiberecht gefordert wird, subventioniert die Republik die eigene Verdrängung. Zuletzt wird ein gemeinsames niedriges Niveau bleiben. Zuletzt bleibt ein Regelwerk, was einfach und ähnlich einer Gehirnwäsche funktioniert, zuletzt bleiben Gruppen, die untereinander verfeindet sind und das durch Gewalt regulieren, es bleibt nur ein Traum von Freiheit und Demokratie.

Während meiner vielen Aufenthalte in Libyen, zuletzt wenige Tage vor Beginn der Unruhen, sagte man mir voraus, was in dem dortigen System bei etwaigen Unruhen passieren würde. „Gaddafi wird uns abschlachten.“ Wie die Bilder aus Misurata zeigen, ist es so gekommen. Tatsächlich werden nun jene Menschen „abgeschlachtet“, die viele Jahrzehnte den Diktator ebenso respektierten wie auch die typischen Vorgehensweisen in einer trotz moderner Medien und Möglichkeiten völlig zurückgebliebenen Gesellschaft, in der noch der Ehrenmord Teil des Konsenses sind, Frauen wie Tiere gehalten werden, Kinder geschlagen und missbraucht, der Tod eines Mitgliedes der Sippe mit dem Tod eines anderen ausgeglichen wird. Die stattfindenden Unruhen werden nur unter einem anderen Namen dieses System erhalten, denn Bildung und Entwicklung sind keine breit angelegten Bedürfnisse, eher Verantwortungslosigkeit und Versorgung, in einer Jahrtausende alten Tradition eben, die zuletzt noch unwiderruflich in religiösen Ansichten gefestigt werden, einer Gehirnwäsche gleich. Und die aktuellen Nachrichten: 500 Dollar für jeden, der überläuft. Der Preis des arabischen Verständnisses für Freiheit und Demokratie.

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